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GZ.: A10/8-014637/2010/0004
Richtlinie des Gemeinderates vom 23.09.2010 mit der eine verkehrspolitische Leitlinie 2020 erlassen wird.
Auf Grund des § 45 Abs. 6 des Statutes der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. Nr. 130/1967, idF LGBl. Nr. 42/2010 wird beschlossen:
Grundsätze der Verkehrspolitik in Graz:
1. Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt
2. Graz als Stadt der kurzen Wege
3. Mobilität ist in ihrer Gesamtheit zu betrachten
4. Mobilität im urbanen Raum bedeutet Vorrang für die Sanfte Mobilität
5. Graz als Teil einer Region setzt auf Kooperation
1. Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt
Nachhaltig ist jenes Handeln, das durch den schonenden Umgang mit Ressourcen und
Qualitäten der Umwelt die Lebensgrundlagen für kommende Generationen nicht beeinträchtigt. Nachhaltiges Mobilitätsverhalten muss daher mit Blick auf seine
Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt betrachtet und diskutiert werden.
- Nachhaltigkeit hat hinsichtlich der Bedürfnisse der Menschen nach Lebensqualität sowie der Erhaltung der Kultur- und Naturräume im Mittelpunkt der städtischen Verkehrspolitik zu stehen.
- Die städtische Verkehrspolitik hat volkswirtschaftlichen sowie umwelt- und energiepolitischen Zielsetzungen den Vorrang vor einzelwirtschaftlichen Zielen zu geben. Mobilitätsfreiheit des einzelnen darf nicht auf Kosten anderer gehen. Ein umfassender Umweltschutz und die Verkehrssicherheit, sowie insbesondere der Schutz von Wohngebieten müssen deshalb Grenzen für die freie Mobilitätsausübung dort setzen, wo der Schutz der Allgemeininteressen Vorrang hat.
- Der sozialen Inklusion des Verkehrssystems ist ein besonderes Augenmerk zu schenken (Wahrung der Chancengleichheit bei der Zugänglichkeit zur Mobilität). Kindern als Vertretern künftiger Generationen soll dabei eine verstärkte Aufmerksamkeit in der städtischen Verkehrspolitik gewidmet werden.
„Mobilität beginnt im Kopf" - das Mobilitätsverhalten spielt in seiner Wechselwirkung mit dem Umfeld eine bedeutende Rolle. Nachhaltige Mobilität ist ohne Verhaltensänderungen nicht zu erreichen. Dem ist künftig durch geeignete „soft-policies-Maßnahmen" (Information, Bewusstseinsbildung, Mobilitätsmanagement) als Bestandteil einer modernen Verkehrsplanung Rechnung zu tragen. - Verkehrspolitik muss von der Bevölkerung getragen und akzeptiert werden. Gewichtige Maßnahmen sind in einem transparenten Planungsprozess für die BürgerInnen - und möglichst mit ihnen - zu führen und dabei auf ihre Zweckmäßigkeit im Sinn der definierten verkehrspolitischen Zielsetzungen zu überprüfen. Als Ausgangsbasis dient dabei der Prozess „Zeit für Graz" bzw. Nachfolgeprozesse. Damit soll bei an Verkehrsplanungsprojekten Beteiligten (BürgerInnen, PolitikerInnen, Fachleute) das Bewusstsein für einen stadtverträglichen Verkehr und ein stadtverträgliches Verkehrsverhalten verbessert sowie auch die Akzeptanz für im Sinne der Gemeinschaft notwendige, aber für einzelne nicht bequeme Maßnahmen erhöht werden.
2. Graz als Stadt der kurzen Wege
Verkehr ist lediglich Mittel zum Zweck. Mobilität stellt ein Potential dar, verschiedene Standorte für die unterschiedlichen Aktivitäten der Menschen zu nutzen. Zwangsmobilität durch schlecht ausgestattete Raumstrukturen und Zersiedelung mit einem schlechten Angebot der Verkehrsmittel des Umweltverbundes ist jedoch zu vermeiden.
- Eine der wichtigsten Voraussetzungen, um unnotwendigen Verkehr zu vermeiden, ist die Schaffung von kompakten Siedlungsstrukturen, d. h. Verhinderung von Zersiedlung und die Ermöglichung strukturell ausgewogener Durchmischung von miteinander verträglichen Nutzungen. In der Stadt- und Verkehrsplanung sollen die Stadt der kurzen Wege und die Nahmobilität wieder in den Vordergrund rücken. Die Nahversorgung soll in möglichst fußläufiger Entfernung gesichert sein. Bezirks- und Stadtteilzentren sollen in ihrer Ausstattungsqualität gefördert werden.
- Die Stadt Graz verfolgt mit den Instrumenten der Stadtentwicklungs- und Bebauungsplanung das Ziel, künftige Nutzungen im Sinne der Vermeidung von Zwangsmobilität nur unter Berücksichtigung attraktiver Anbindungen neuer Nutzungsbereiche an Versorgungseinrichtungen bzw. die Erschließbarkeit mit dem Fuß-Radwege- und ÖPNV-Netz fest zu legen und damit auch die für NutzerInnen notwendige, attraktive Nahmobilität zu unterstützen. Ein Bekenntnis setzt Graz dabei als Straßenbahnstadt: Der Ausbau von Straßenbahnlinien ist wesentlicher Bestandteil der Grazer Verkehrspolitik.
- Im Nahversorgungsbereich sollen alle Ziele auf attraktiven Wegen auch für den nichtmotorisierten Verkehr erreichbar sein. Die Stadtbezirke und ihre Zentren sind intern sowie an das Stadtzentrum an ein Fuß- und Radverkehrsnetz anzubinden und sollen ohne mehrfaches Umsteigen oder lange Fußwege mit Straßenbahn oder Bus erreichbar sein.
3. Mobilität ist in ihrer Gesamtheit zu betrachten
Die Verkehrspolitik vergangener Jahrzehnte war eher sektoriell ausgerichtet: Die Verkehrsarten wurden für sich betrachtet und gegenseitige Wechselbeziehungen und Ergänzungen vernachlässigt. Das Ziel ist eine ganzheitliche Betrachtung der wechselseitigen Beziehungen zwischen den Verkehrsmitteln, auch über die Stadtgrenze hinausführend.
- Die Erreichbarkeit von Graz ist sowohl innerstädtisch als auch regional und überregional in Form eines nachhaltigen Mobilitätsangebotes aufrecht zu erhalten und weiter zu entwickeln. Damit soll eine Basis zur Attraktivierung der Stadt Graz als Standort für Wohnen, Wirtschaft, Versorgung, Bildung, Tourismus und Freizeit geschaffen werden.
- Die Planung des Mobilitätsangebotes hat alle Verkehrsarten in ihrem Wirkungszusammenhang zu umfassen. Abgestimmte Gesamtverkehrsplanung soll durch miteinander kombinierte „push- und pull-Maßnahmen" so gesteuert werden, dass stadtverträgliche Verkehrsarten attraktiviert werden und nicht erwünschte Entwicklungen durch Restriktionen verhindert werden können und dabei die Gesamtmobilität gewährleistet werden kann. Notwendige restriktive Maßnahmen einerseits sollen dabei idealerweise gemeinsam mit angebotsseitigen Verbesserungen andererseits umgesetzt werden.
- Die Bedeutung von „Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs" darf sich nicht nur auf den fließenden Kfz-Verkehr beschränken, sondern muss auch die Gesamtverkehrssicht, also auch den Öffentlichen Verkehr, Fuß- und Radverkehr, umfassen.
- Den Schnittstellen innerhalb bzw. zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern sind verstärkt Beachtung zu schenken. Dies betrifft sowohl den Personenverkehr (vorrangig zwischen städtischem und (über-) regionalem Verkehr als auch den Güterverkehr (Güterlogistik innerstädtisch).
4. Mobilität im urbanen Raum bedeutet Vorrang für die Sanfte Mobilität
- Die Trendentwicklung einer weiteren Zunahme des Kfz-Verkehrs mit seinen negativen Auswirkungen auf das städtische Umfeld soll zu Gunsten der umweltfreundlichen Verkehrsformen verändert werden. Für den Verkehr der Grazer Wohnbevölkerung wird bis zum Jahr 2021 - entsprechend dem Ziel des Regionalen Verkehrskonzeptes Graz -Graz Umgebung zur Einhaltung der Umweltstandards (Lärm und Luftschadstoffe) - eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen motorisiertem Individualverkehr und Umweltverbund von 45:55 (2008) auf 37:63 angestrebt.
- Den Verkehrsarten des Umweltverbundes als nachhaltige Verkehrsformen ist langfristig konsequent Priorität gegenüber dem motorisierten Individualverkehr einzuräumen. Innerhalb des motorisierten Individualverkehrs ist anzustreben, umweltfreundliche Antriebstechnologien (emissionsarme Fahrzeuge) zu fördern. Sicherheits- und Attraktivitätsansprüche des nichtmotorisierten Verkehrs sowie des öffentlichen Verkehrs haben im Konfliktfall Vorrang vor Ansprüchen der Leistungsfähigkeit und Schnelligkeit für den MIV.
- Maßnahmen der Effizienzsteigerung der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur haben Priorität vor dem Ausbau neuer Verkehrsinfrastruktur, da dieser den kostenintensivsten Maßnahmenbereich darstellt. Der Bau neuer Straßeninfrastruktur soll nur dann erfolgen, wenn ein Ausgleich der Gesamtmobilität über die gleichzeitige Realisierung flankierender Maßnahmen erfolgt. Das Zusatzwachstum der Mobilität soll in Richtung Stärkung des Umweltverbundes über den öffentlichen Verkehr, Fuß- und Fahrradverkehr abgedeckt werden. Damit können angestrebte Entlastungswirkungen gesichert und unerwünschte Effekte verhindert werden.
- Zur Gewährleistung von attraktiven Nutzungsstandorten innerhalb des Stadtgebietes ist auf die Nahmobilität, d.h. ein entsprechendes Mobilitätsangebot vor allem im unmittelbaren fußläufigen Einzugsbereich ein erhöhtes Augenmerk zu richten.
- Neben der Konzeption verkehrsorganisatorischer und verkehrstechnischer Maßnahmen ("Software") sowie baulicher Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen ("Hardware") werden Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung zur Veränderung des Verkehrsverhaltens im Sinne eines stadtverträglichen Verkehrs sowie Mobilitätsmanagement im weitesten Sinne wie beispielsweise die Einbindung von Mobilitätskonzepten in Nutzungsentwicklungen („soft-policies") zunehmend zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer modernen Verkehrsplanung.
- Alle künftigen verkehrsrelevanten Maßnahmen sind vor der Realisierung auf ihre Übereinstimmung mit der „Verkehrspolitischen Leitlinie 2020" zu überprüfen.
5. Graz als Teil einer Region setzt auf Kooperation
Auf Grund ihrer Vernetzung und Stellung hat die Stadt Graz nur beschränkt Möglichkeiten und Kompetenzen, den Gesamtverkehr innerhalb der Stadt zu steuern. Graz ist sich seiner besonderen Rolle als Kernstadt des steirischen Ballungsraumes bewusst und setzt auf Kooperation in der Mobilitätspolitik, um ihre Ziele zu erreichen
- Für die Stadt Graz ist es daher umso wichtiger, ihre verkehrspolitischen Zielsetzungen sowie ihre Planungsmaßnahmen auch mit den übergeordneten Planungsträgern abzustimmen (Land Steiermark, Bund, ÖBB, EU, etc.). Zur Wahrung ihrer Interessen muss die Stadt Graz entsprechendes Lobbying zur Lösung übergeordneter Probleme betreiben.
- Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehr nimmt im stadtgrenzüberschreitenden Verkehr nach wie vor zu. Die Stadt Graz und sein Umland müssen, um zukunftsfähige räumliche Entwicklungen und Mobilität zu gewährleisten, eine gemeinsam über das Land Steiermark abgestimmte Verkehrspolitik verfolgen. Dazu ist es notwendig, geplante Maßnahmen und Projekte sowohl hinsichtlich ihrer zeitlichen Umsetzung als auch hinsichtlich der Bindung dafür notwendiger finanzieller Mittel laufend abzustimmen.
- Die Weiterentwicklung der Nutzungsstrukturen des Ballungsraumes Graz sowie die damit verbundenen Mobilitätsbedürfnisse dürfen die urbane Entwicklung der Landeshauptstadt Graz nicht unterbinden. Eine verdichtete urbane Entwicklung innerhalb von Graz gewährleistet auch die Möglichkeit, die Verkehrsmittelwahl zugunsten des Umweltverbundes zu forcieren und Unabhängigkeiten von der Nutzung eines eigenen Pkw zu schaffen.
- Der gesamte Ballungsraum Graz muss für alle VerkehrsteilnehmerInnen angemessen und gut erschlossen sein und nicht nur für jene Bevölkerungsgruppen, die über ein KFZ verfügen. Das für diesen Raum erstellte Regionale Verkehrskonzept Graz - Graz Umgebung soll als Basis für zukünftige Verkehrsplanungsprojekte dienen und Umsetzung finden.
- Wegen der drohenden weiteren Zersiedelung des Grazer Umlandes liegt bei der Regionalplanung eine große Verantwortung für die Entwicklung im Ballungszentrum Graz. Die dezentrale Siedlungsentwicklung bzw. Zersiedelung mit ihren negativen Folgen ist durch geeignete raumordnungspolitische, wirtschaftspolitische Instrumente und andere Steuerungsmaßnahmen (z.B. innerhalb der Wohnbauförderung, Pendlerpauschalen, etc.) zu bremsen.