Auf dem Areal des Liebenauer Grünangers, heute teilweise Maria-Cäsar-Park, befand sich während des Zweiten Weltkrieges das Lager Liebenau, das größte Zwangsarbeiterlager in Graz. 1940 als Umsiedlerlager V gegründet, war der Komplex im April 1945 eine Zwischenstation ungarischer Jüdinnen und Juden auf ihren Evakuierungsmärschen ins KZ Mauthausen. Mindestens 34 Personen wurden hier erschossen. Nach dem Prozess vor einem britischen Militärgericht 1947, bei dem wegen Kriegsverbrechen zwei Todesurteile ausgesprochen wurden, wuchs - im wahrsten Sinne des Wortes - Gras über dieses dunkle Kapitel der Grazer Zeitgeschichte.
Erst in den letzten Jahren ist ein gesteigertes Interesse am Lager Liebenau zu beobachten. Eine Gedenktafel vor Ort mit digitalem Rundgang soll einen wesentlichen Beitrag wider das Vergessen leisten.
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Für mehrere Aspekte der menschenverachtenden NS-Ideologie und des Umgangs mit ihrem Erbe ist das Lager Liebenau ein Sinnbild. Das Areal ist ein Ort verdichteter Geschichte.
Verführt: Das Lager als Ort der „Volksgemeinschaft"
Das totalitäre NS-Regime erzwang eine totale Beteiligung, Eingliederung und Unterwerfung der Menschen unter seine Herrschaft. Massenaufmärsche und Uniformität sollten Kerninhalte der NS-Ideologie vermitteln: die „klassenlose Volksgemeinschaft" und eine militarisierte Gesellschaft, straff organisiert nach dem Führerprinzip.
Das Lager Liebenau wurde 1940 für „volksdeutsche Umsiedlerinnen und Umsiedler" errichtet. Gemäß der NS-Idee sollten ... Lesen Sie mehr
Verschleppt: Das Lager als Ort der Zwangsarbeit
Im Sommer 1944 mussten auf dem Gebiet des heutigen Österreich etwa 182.000 Kriegsgefangene, 64.000 KZ-Häftlinge und 580.000 zivile Ausländerinnen und Ausländer Zwangsarbeit leisten. Ihre Behandlung war „rassisch-ideologisch" motiviert. An unterster Stelle dieser Lagerhierarchie standen sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die ab 1941 im Lager Liebenau die größte Gruppe bildeten. Sie leisteten im „Puchwerk I" auf der anderen Murseite Zwangsarbeit. Dorthin gelangten sie über den eigens errichteten, 2019 abgerissenen ... Lesen Sie mehr
Vernichtet: Das Lager als Tatort der Endphaseverbrechen
Die Steiermark war Tatort zahlreicher NS-Endphaseverbrechen: der systematischen Ermordung politischer Gefangener, der Erschießung alliierter Bomberbesatzungen und von Evakuierungsmärschen. Im April 1945 war das Lager Liebenau eine Zwischenstation dieser „Todesmärsche" ungarischer Jüdinnen und Juden vom „Südostwall" Richtung KZ Mauthausen. Sie mussten im Freien nächtigen, erhielten unzureichende Verpflegung und wurden medizinisch nicht versorgt. Mindestens 34 Personen wurden hier erschossen und in Massengräbern ... Lesen Sie mehr
Verurteilt: Das Lager als Tatort gesühnter NS-Verbrechen
Nach Kriegsende untersuchte ein britisches Militärgericht die NS-Verbrechen im Lager Liebenau. Vier ehemalige Mitglieder des Lagerpersonals waren angeklagt: der Lagerleiter Nikolaus Pichler, der Lagerführer Alois Frühwirt, weiters dessen Vorgänger Franz Eder sowie der Lagerpolizist Josef Thorbauer.
Am 12. September 1947 erfolgte die Urteilsverkündung: Das Gericht beschloss einen Schuldspruch wegen Misshandlung ungarischer Jüdinnen und Juden, Entzugs von Verpflegung und Verweigerung von Medikamenten sowie - im Falle von Pichler und Frühwirt - wegen Mordes. Thorbauer wurde zu drei Jahren Haft ... Lesen Sie mehr
Vergessen: Das Lager als Ort verdrängten Unrechts
Nach dem Krieg dienten die Lagerbaracken zunächst als Unterkunft für Flüchtlinge. 1947 kaufte die Stadt Graz die verbliebenen Gebäude und den Puchsteg, eine neue Siedlung entstand. Erhielten sich die Strukturen wie etwa der Verlauf der Straßen oder ein inzwischen denkmalgeschützter Keller über die Jahrzehnte, so verschwand das Thema beinahe gänzlich aus dem kollektiven Gedächtnis ... Lesen Sie mehr